Individuelle Betreuung im „zweiten Zuhause“ „Verfrühter Einzug in vollstationäre Einrichtung wird überflüssig"

Vor wenigen Wochen hat Helena Dietl (51) die Pflegedienstleitung der beiden ASB-Tagespflegen in Oberhausen übernommen. Noch im Dezember hat uns die gerontopsychiatrische Fachkraft in einem Interview über die Folgen des Älterwerdens bei den zu Pflegenden, aber auch über die Anforderung der Angehörigen berichtet. Welche Schlüsselrolle die Tagespflege-Einrichtungen in Zukunft spielen werden, verrät sie uns im Interview.

Frau Dietl, für Sie gehört das Älterwerden zur persönlichen Lebensplanung eines jeden Einzelnen. Wie ist das zu verstehen?

Helena Dietl: Ja, in der Tat. Jeder Mensch plant seine Lebensphasen individuell, aber so gut wie möglich, erst mit Hilfe der Eltern, später selbstständig: Das beginnt mit der sorgfältigen Auswahl des geeigneten Kindergartens, geht weiter mit der weiterführenden Schule oder der Universität. Der Grundstein für eine berufliche Karriere und wirtschaftlichem Wohlstand soll gelegt werden. Dann sucht man einen Partner und gründet eine Familie. Doch eine Sache wird dann immer vernachlässigt…

 

Das Älterwerden…

Helena Dietl: Genau. Oftmals werden Gedanken daran sogar verdrängt, obwohl wir doch alle wissen, dass der Zustand jung, gesund und agil zu sein, nicht ewig anhalten kann. Zugegeben, der Wunsch, für immer jung zu bleiben, ist immer da (lacht). Doch es geht ja nicht nur um die Person selber, wir sollten auch an die Angehörigen denken und uns frühzeitig mit dem sehr wichtigen Thema des Altwerdens auseinandersetzen. 

 

Ist nicht jeder Mensch selber für seine Gesundheit verantwortlich?

Helena Dietl: Wenn es so einfach wäre… Natürlich können gesundheitliche Vorsorge, z.B. durch regelmäßige Arztbesuche, sowie eine gesunde Lebensweise zwei wichtige Säulen sein. Auch gibt es in der Medizin hervorragende Fortschritte. Die Entwicklungen in der Pharmaindustrie verlängern die Dauer unseres Lebens ständig. Viele Menschen erreichen heute 90 Lebensjahre und mehr. Doch das birgt natürlich Risiken, denn das Erreichen eines hohen Lebensalters stellt viele Betroffene und deren Angehörige vor große Herausforderungen, da der Hilfsbedarf enorm steigt.

 

 

Viele Pflegeexperten sind der Auffassung, dass älter werdende Menschen möglichst lange in ihrem vertrauten Umfeld, z.B. dem eigenen Haus oder der Wohnung, verbleiben sollten.

Helena Dietl: Das ist auch die mehrheitliche Ansicht der pflegenden Angehörigen. Doch wird dabei der Kardinalfehler begangen, alle pflegerischen Maßnahmen allein bewältigen zu wollen. Die Angehörigen sind sich weder über den Umfang dieser großen Aufgabe im Klaren noch sind sie darin geschult und nehmen externe Hilfestellungen oftmals spät, teilweise aber auch gar nicht, in Anspruch. Dabei gibt es einfache Wege, dem zu pflegenden Menschen einen längeren Verbleib in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Gleichzeitig können auch die pflegenden Angehörigen spürbar entlastet werden.

 

Welches Angebot kann Ihrer Ansicht nach eine Schlüsselfunktion übernehmen?

Helena Dietl: Der sogenannten Tagespflege kommt hier eine immer größer werdende Bedeutung zu. Morgens können zu pflegende Menschen durch Fahrdienste abgeholt und zur Tagespflege gebracht werden. Am Nachmittag kehren sie wieder zurück in ihr eigenes Zuhause. Individuelle Pflege und psychosoziale Betreuung in Kombination ermöglichen das bekannte Leben zu Hause über einen langen Zeitraum hinweg. Durch diese unterstützenden Tätigkeiten können wir einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, das Leben der uns anvertrauten Menschen mit Wohlbefinden und Freude zu gestalten und einen verfrühten Einzug in eine vollstationäre Pflegeeinrichtung überflüssig werden lassen.

 

Ist es aber dann nicht nur ein anderer Ort, an dem sich die älteren Menschen aufhalten? Worin liegt genau der Unterschied?

Helena Dietl: In einem strukturierten Tagesablauf. In der Tagespflege treffen die Gäste in kleinen Gruppen von etwa zwölf Personen auf andere Menschen. Sie erleben etwas am Tag, und zwar die ganze Zeit über - aber nur, wenn es auch gewünscht ist. So werden gemeinsame Mahlzeiten in der Gruppe eingenommen, wie etwa das Frühstück, Mittagessen oder das Kaffeetrinken. Pflegerische Erfordernisse, wie z.B. die Verabreichung von verordneten Medikamenten und Hilfestellungen beim Toilettengang, werden durch qualifiziertes Pflegepersonal auf Wunsch durchgeführt.

 

Bleiben die Gäste denn den ganzen Tag in den Räumlichkeiten oder werden ihnen auch Möglichkeiten angeboten, um aktiv zu werden?

Helena Dietl: Offen gestanden kommt dem Bereich der psychosozialen Betreuung eine ganz entscheidende Rolle zu. Es werden Spiele gemacht und Spaziergänge unternommen. Zur Förderung der geistigen Ressourcen gehören aber auch Gedächtnistraining sowie Gruppen-Ausflüge in die nähere Umgebung. Aber wie zuvor schon erwähnt, sollen in Pflegeeinrichtungen und Tagespflegen die Selbstbestimmungsrechte der Gäste allerhöchste Priorität und Wertschätzung genießen. Kurz: Jede Teilnahme erfolgt auf freiwilliger Basis.

 

Das heißt: Jeder Gast kann an den Mahlzeiten und Aktivitäten teilnehmen, muss es aber nicht!

Helena Dietl: Richtig! So lange wie möglich entscheidet er selbst, was er isst und an welchen Spielen oder Aktivitäten er teilnehmen möchte. Wer sich stattdessen lieber zurückziehen möchte, kann das ebenso tun. So wird die Tagespflege, trotz anfänglicher Ängste und Sorgen von Betroffenen und Angehörigen, nicht nur zu einer Begegnungsstätte, sondern vielmehr zu einem „zweiten Zuhause“.

 

Frau Dietl: Das Erreichen eines hohen Lebensalters steht häufig im Zusammenhang mit der Entwicklung einer Demenz. Kognitive Einschränkungen der Betroffenen führen dazu, dass viele Dinge des alltäglichen Lebens nicht mehr, zumindest aber nicht immer selbstständig, bewältigt werden können. Wie gehen Sie in der Tagespflege mit demenziell erkrankten Menschen um?

Helena Dietl: Menschen mit Demenz werden in das Alltagsgeschehen voll integriert. Es werden die vorhandenen Ressourcen gefördert, d. h., die Gäste werden nicht mit ihren geistigen Defiziten konfrontiert, sondern für viele andere ihrer verbliebenen Fähigkeiten gelobt und in ihrer Gefühlswelt bestärkt. Darüber hinaus stehen die Mitarbeiter von Tagespflegen den Angehörigen natürlich mit Rat und Tat zur Verfügung.

 

 

Tipp: Auch in Zeiten der Corona-Pandemie ist ein Besuch der ASB-Tagespflegen auf Grund der Umsetzung umfangreicher Hygiene- und Sicherheitskonzepte durchaus möglich. Der Schutz und die Sicherheit eines jeden Gastes haben höchste Priorität. Bitte erfragen Sie zuvor telefonisch die aktuellen Bedingungen.

Das Interview wurde geführt von: Jens Knetsch (CONTENT NEWS)